Beitrag / ZDF/Panorama zum Umgangsrecht
Frauen- und Kinderrechte: Trotz drohender Gewalt zum Vater
Nach einer Trennung können Kinder zum Umgang mit Vätern gezwungen werden. Teils sogar, wenn die gewalttätig sind. Der Kindeswille spielt oft keine Rolle – mit dramatischen Folgen.
Warum Frauen und Kinder noch immer nicht gut genug geschützt sind.
„Es gibt eine Zeit vor und eine Zeit nach der Inobhutnahme“, sagt Max, der mittlerweile 21 Jahre ist und nur mit seinem Vornamen genannt werden möchte. Mit elf Jahren ist er zusammen mit seinen drei Geschwistern ins Heim gekommen – für zehn lange Monate.
Dem Konflikt vorangegangen war ein Sorgerechtsstreit: Es hatte Auseinandersetzungen in der Familie gegeben, die Mutter trennte sich. Die Kinder verweigerten den Umgang mit dem Vater. „Ich wurde immer wieder vom Jugendamt gedrängt, dass ich für den Umgang mit dem Vater zu sorgen habe, da es mir sonst nachteilig ausgelegt werden kann“, erinnert sich seine Mutter Andrea K.
„Ich wollte meinen Vater einfach nicht mehr sehen. Und je mehr Druck vom Jugendamt gemacht wurde, umso schlimmer war es“, sagt Max.
Kinder zunehmend schutzlos und traumatisiert
Die Soziologin und Autorin Christina Mundlos kennt das Dilemma vieler Mütter, die nach einer Trennung die Aufgabe haben, den Kontakt mit dem Vater zu regeln: „Gerade nach Vorfällen von häuslicher Gewalt vermeiden die Kinder den Umgang mit dem Vater. Sie haben Angst oder sind traumatisiert.“
Mundlos berät Frauen in Trennungssituationen und berichtet davon, dass es immer öfter Fälle gäbe, bei denen Gewalt vom Vater der Kinder ausgehe und die Mütter weder sich noch ihre Kinder davor schützen könnten – weil das Familienrechtssystem es unmöglich mache.
Soziologin Christina Mundlos im Gespräch über Trennungsverfahren
Mütter erleben oft Täter-Opfer-Umkehr vor Gericht
Auch die Deutsche Kinderhilfe e.V blickt derzeit kritisch auf viele familiengerichtliche Verfahren. Der Vorstandsvorsitzende Rainer Becker, fordert „bei Trennungskonflikten, bei denen Gewalt im Vorfeld stattfand, den Ausschluss des Umgangs mit dem gewaltausübenden Elternteil in Betracht zu ziehen“.
Das Wohl des Kindes muss im Mittelpunkt stehen, so Becker, der selber lange Zeit Polizeidirektor in Mecklenburg-Vorpommern war. Vor Gericht erleben Mütter oft eine Täter-Opfer-Umkehr, so Christina Mundlos: „Das heißt, dass die Schilderungen der Kinder, die Polizeiberichte über die Gewalt etc. nicht ernst genommen werden.“
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Die Studie „Familienrecht in Deutschland – Eine Bestandsaufnahme“, vorgelegt von Dr. Wolfgang Hammer, belegt anhand von über 1.000 familiengerichtlichen Fällen, dass Frauen und Kinder vielfach Opfer fragwürdiger Verfahrenspraktiken sind. Besonders eklatant sind demzufolge die aufgezeigten Mängel in Verfahren, in denen psychische oder physische Gewalt oder Missbrauch eine Rolle spielten. Trotz Gewalthintergründen kommt es dazu, dass Kinder von der Mutter zum Vater platziert, ins Heim gebracht oder gerichtlich das sogenannte Wechselmodell herbeigeführt wird; die Kinder also zu jeweils 50 Prozent bei Mutter und Vater leben.
Bildquelle: Oliver Berg/dpa
Sorgerecht verloren wegen „Bindungsintoleranz“
Das Umgangsrecht hebelt so den Gewaltschutz der Frauen und Kinder aus, und Kinder werden zum Umgang gezwungen.
Ähnlich erging es auch Andrea K. Als die Kinder die Umgänge immer mehr verweigern, beantragt ihr Mann das alleinige Sorgerecht. Ein Familiengutachten wird beauftragt – mit fatalen Folgen.
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Welche Gefahren Kindern durch Trennungssituationen drohen können, belegt ein Blick auf aktuelle Zahlen. Im Jahr 2021
- starben 145 Kinder durch Gewalt, 118 von ihnen waren unter sechs Jahre alt.
- gab es rund 143.604 Fälle häuslicher Gewalt in Deutschland, bei denen 108 Frauen und 12 Männer gewaltsam zu Tode kamen. Rund ein Drittel der Taten erfolgt nach einer Trennung.
- gehören mindestens in jedem zweiten Fall häuslicher Gewalt Kinder zum Haushalt, die die Gewalt miterleben mussten.
Untersuchungen zufolge starb mindestens jedes vierte Kind, das durch Gewalt zu Tode kam, in Zusammenhang mit einer Trennung der Erziehungspersonen bzw. einem Streit um das Sorge- oder Umgangsrecht.
Quelle: KFN-Forschungsbericht
Bildquelle: dpa/Maurizio Gambarini
„Uns wurde eine Mutter-Kind-Symbiose vorgeworfen; man hat behauptet, ich sei bindungsintolerant, würde die Kinder vom Vater entfremden und wäre sehr wahrscheinlich psychisch krank; Verdacht Borderline“, erinnert sich Andrea K.
Erzwungener Umgang ein Albtraum für die Betroffenen
Nach zehn Monaten Kampf weigern sich die Kinder bei einem begleiteten Umgang zurück ins Heim zu gehen. Max, der Älteste, hatte zuvor mit Suizid gedroht. Das Jugendamt gibt nach, und nach weiteren 17 Monaten bekommt Andrea K. das Sorgerecht zurück.
Erst 2018 erhält sie in einem anderen zivilrechtlichen Verfahren die Gewissheit, dass das damalige Gutachten mangelhaft war und die Inobhutnahme der Kinder somit nicht zulässig. Die Familie hat nun eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht.
Für Max und seine Geschwister hört der Albtraum von damals niemals auf. „Egal wo wir hinkommen, es heißt immer noch: Guck mal, da sind die Heimkinder.“ Er hätte sich gewünscht, dass jemand ihm und seiner Schwester früher zugehört und gefragt hätte.