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Das Bundesverwaltungsgericht hatte die Berliner Vorschrift verworfen, Elternbeiträge bei 90 Euro zu deckeln.
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/berlin/gerichtsbeschluss-zu-berliner-kita-zuzahlungen-eltern-mussen-mit-beitragserhohungen-rechnen-11324245.html
Sechs Jahre lang durften Kitas nicht mehr als 90 Euro pro Monat von den Eltern erheben. Mit dieser Deckelung ist es in absehbarer Zeit vorbei: Nach Informationen des Tagesspiegels bereitet der Senat eine Neuregelung vor, die auf eine höhere Obergrenze hinausläuft. Dazu ist er juristisch gezwungen.
Der Zugzwang resultiert aus einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das jetzt schriftlich vorliegt. Wie berichtet, hatte das Gericht die Berliner Obergrenze im Oktober verworfen, da sie gegen die grundgesetzlich garantierte Trägerfreiheit verstoße.
Danach tat sich erstmal nichts, weil die Senatsverwaltung für Jugend zunächst das schriftliche Urteil abwarten wollte. Da es inzwischen beiden Streitparteien zugegangen ist, teilte die Behörde am Mittwoch auf Nachfrage mit, dass sie „aktuell an einer Regelung arbeitet, die die Entscheidung des Gerichts würdigt und selbstverständlich berücksichtigt“.
Infolge der Gerichtsentscheidung und der Inflation gilt als sicher, dass auf viele Eltern höhere Zuzahlungen zukommen werden. Auch der Verband der kleinen und mittelgroßen Kitaträger (VKMK) geht davon aus, wie Geschäftsführer Lars Bekesi am Mittwoch mitteilte. Denn die jetzige Obergrenze von 90 Euro für zusätzliche Mahlzeiten gelte wegen der höheren Essens- und Energiepreise schon längst als zu knapp. Zudem bedeute die Gerichtsentscheidung, dass künftig auch andere Zusatzangebote durch Zuzahlungen finanziert werden dürften.
Mit der starren Obergrenze hatte die frühere Berliner Jugendsenatorin Sandra Scheeres (SPD) erreichen wollen, dass kein Kind bei keiner Kita aus finanziellen Gründen außen vorbleiben sollte. Das Gericht würdigte dieses Bestreben, befand aber, dass die Trägerfreiheit ebenfalls ein hohes Gut sei. Wenn ein Träger etwas anbiete, für das etliche Eltern gern etwas mehr zahlen würden – etwa durchgängige personalintensive bilinguale Angebote für hochmobile Familien – , dürfe man ihnen das nicht verwehren.
Mit anderen Worten: Der Spielraum des Gesetzgebers bei der Bevormundung freier Träger wird begrenzt durch den Elternanspruch auf ein „möglichst plurales, bedarfsorientiertes Angebot“. Auf den 28 Seiten des Gerichtsurteils wird denn auch die Pluralität an 28 Textstellen beschworen und begründet, warum man von den gegenteiligen Voten der Vorinstanzen abwich.
An anderer Stelle hebt das Gericht zudem auf das „Gleichbehandlungsgebot“ ab. Es widerspreche diesem Gebot, wenn angebotene Kindergartenplätze mit einer bestimmten Pädagogikausrichtung – nur weil sie teurer seien und trotz anhaltender Nachfrage – geringer als andere gefördert würden. Dies laufe auch dem Wunsch- und Wahlrecht zuwider.
Die Bundesrichter werden in ihrer Urteilsbegründung nicht müde, immer wieder auf die Besonderheiten der freien Trägerlandschaft hinzuweisen. So schreiben sie, dass die freie Jugendhilfe „grundsätzlich auch frei ist in der Festlegung ihrer Aufgaben“. Das schließe das Recht ein, ein „Mehr“ gegenüber dem Angebot der öffentlichen Jugendhilfe oder anderer freier Träger zu leisten und auch autonom die Finanzierbarkeit eines solchen Zusatzangebots herzustellen.
Die Höchstgrenze berücksichtigt nicht, ob der jeweilige freie Träger zur Verwirklichung seiner gewählten pädagogischen Zielsetzung zwingend auf das eigene Einnahmen angewiesen ist, die er durch Zuzahlungen decken will.
Aus dem schriftlichen Urteil des Bundesverwaltungserichts.
Durch das Verbot von Zuzahlungen werde nicht berücksichtigt, ob der jeweilige freie Träger zur Umsetzung seiner pädagogischen Ziele „zwingend auf eigene Einnahmen angewiesen ist, die er durch Zuzahlungen decken will“. Somit werde die laut Bundessozialgesetzbuch garantierte freie Wahl des pädagogischen Konzepts „praktisch vereitelt“.
Tatsächlich hatte die rot-rot-grüne Koalition zusammen mit Scheeres sehr enge Grenzen gezogen, denn selbst die genannten 90 Euro durften die freien Träger nicht einsetzen, wofür sie wollten. Vielmehr durften sie nur für eine zusätzliche Mahlzeit oder einen erhöhten Bioanteil, nicht aber für mehr Personal ausgegeben werden.
Nachdem klar war, dass sich einige Kitas über die Regelung hinwegsetzten und weiterhin höhere Elternbeiträge nahmen, ließ Scheeres deren Landeszuschüsse entsprechend kürzen, wogegen sich die Klage eines der Träger, der Privaten Kant-Kindergarten gGmbH, richtete. Der einbehaltene Zuschuss hat längst den sechsstelligen Eurobereich erreicht.
Die Jugendbehörde argumentierte nicht nur mit ihren eigenen Vorstellungen von Chancengleichheit, sondern auch damit, dass ja die großen Träger einverstanden gewesen seien. Das Gericht ließ auch dies nicht gelten, sondern zitierte einen der beteiligten Träger damit, dass die Behörde ja „mit vorgehaltener Pistole“ verhandele, also am längeren Hebel sitze.
Noch einen weiteren Trumpf schlug das Gericht der Behörde aus der Hand: Sie hatte nämlich argumentiert, die besonderen Angebote seien ja doch machbar, wenn ein Träger das Ganze mittels Förderverein finanziere. Diese Punkt verwarf das Gericht. Denn ein freier Träger dürfe mit Blick auf sein Selbstbestimmungsrecht gar nicht die Initiierung eines solchen Vereins abverlangt werden. Zudem könne eine solche Finanzierung keine verbindlichen, festen Monatszahlungen ersetzen, weil eine Vereinsmitgliedschaft jederzeit gekündigt werden könne.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung des Artikels stand in der Überschrift „Gerichtsbeschluss“. Es handelt sich aber um ein Urteil. Der Begriff wurde daher korrigiert.