Liebe Alleinerziehende, untenstehend der offene Brief, den Alleinerziehenden-Verbände (Fair für Kinder, MIA – Mütterinitiative für Alleinerziehende, der Stiftung Alltagsheld:innen und Solomütter) als Stellungnahme zu Aussagen von Herrn Lindner (Finanzminister) bezüglich Kindergrundsicherung an Frau Familienministerin Paus geschrieben haben
Berlin, 29. August 2023
Offener Brief zur Kindergrundsicherung:
Frauenfeindliches Narrativ über Alleinerziehende – Jetzt reicht’s!
Sehr geehrte Frau Bundesfamilienministerin Paus,
sehr geehrte Bundesregierung,
gestern wurde das Eckpunktepapier zur Kindergrundsicherung bekanntgegeben. Inhaltlich
gibt es viel anzumerken und wir hoffen sehr, dass wir als Interessenvertretungen von
alleinerziehenden Eltern die Möglichkeit haben werden, dazu Stellung zu beziehen und mit
Ihnen weiter im Austausch zu bleiben.
Grund unseres heutigen Schreibens an Sie im Namen der Alleinerziehenden-Organisationen
Fair für Kinder, MIA – Mütterinitiative für Alleinerziehende, der Stiftung Alltagsheld:innen und
Solomütter ist allerdings ein anderer:
Wir dulden nicht länger das toxische Narrativ, das von der FDP über alleinerziehende Eltern,
insbesondere Mütter, öffentlich verbreitet wird – und vom Bundesfamilienministerium bisher
unkommentiert blieb.
Die FDP hat sich offensichtlich das Ziel gesetzt, ein mütterfeindliches Bild zu bedienen und
dieses in der Gesellschaft sowie in Gesetzen unseres Landes zu verankern. Damit schadet
die Politik, allen voran die FDP, vor allem alleinerziehenden Müttern und ihren rund 2,2
Millionen Kindern. Sie stellt deren bemerkenswerte Leistung damit in den Schatten und tritt
die zahlreichen unbezahlten Stunden Care-Arbeit, die diese Mütter täglich leisten, mit
(partei-)politischen Füßen.
Wir beobachten diese Tendenz bereits seit einiger Zeit.
In der gestrigen Pressekonferenz zum Eckpunktepapier zur Kindergrundsicherung wurde
dieses Narrativ schließlich mit Falschaussagen des Bundesfinanzministers Lindner gestützt
– und seine Aussage blieb von Ihnen, der Bundesfamilienministerin und Fürsprecherin für
alleinerziehende Eltern, unkommentiert.
Christian Lindner sagte wörtlich: „Wir wollen einerseits die materielle Situation
Alleinerziehender verbessern, aber andererseits nicht zusätzliche Anreize geben, sich nicht
um Arbeit zu bemühen. Es ist ja eine beklagenswerte Tatsache, dass die
Erwerbsbeteiligung von Alleinerziehenden im vergangenen Jahrzehnt trotz des
Ausbaus der Kinderbetreuungsstruktur zurückgegangen ist. Also weniger
Erwerbsbeteiligung bei Alleinerziehenden während des vergangenen Jahrzehnts. Da dürfen
wir kein Signal setzen, dass das verfestigt.“
Die zitierte Aussage ist inhaltlich falsch. Ihr wurde weder in der Pressekonferenz noch im
Nachgang widersprochen. Die verfügbaren Daten u.a. des Statistischen Bundesamtes1
belegen, dass insbesondere alleinerziehende Mütter nicht nur bedeutend mehr
erwerbsarbeiten als Mütter in Paarbeziehungen; die Erwerbsbeteiligung von
Alleinerziehenden ist in den vergangenen Jahren auch deutlich gestiegen – mit einem
pandemie-bedingten Einbruch 2022, der nicht zuletzt durch geschlossene
Betreuungseinrichtungen und Homeschooling verursacht war.
Wir finden deshalb: Beklagenswert ist vor allem, dass Herr Lindner als Bundesfinanzminister
faktisch falsche Aussagen über eine gesellschaftliche Gruppe macht, diese
gesamtgesellschaftlich sowie öffentlich diskreditiert und damit die Spaltung der Gesellschaft
vorantreibt.
Die Argumentation von Bundesfinanzminister Christian Lindner zeigt einmal mehr:
Alleinerziehende Mütter werden in der Care- und Betreuungsfrage allein gelassen und im
Zweifel sogar von Politik und Wirtschaft für ihre Familiensituation abgestraft.
Wir, die genannten Interessenvertretungen für alleinerziehende Eltern, fordern Sie, die
Bundesfamilienministerin und die Bundesregierung, auf, diese Verleumdung von
Alleinerziehenden und die Missachtung der Leistung dieser Familien öffentlich zu
korrigieren und über die Realitäten von alleinerziehenden Eltern, insbesondere Müttern,
sachlich korrekt sowie auf Augenhöhe aufzuklären.
Wir haben es satt, dass Familienmodelle politisch und gesellschaftlich gegeneinander
ausgespielt werden und Alleinerziehende einmal mehr als Prellbock der Gesellschaft
herhalten müssen!
Mit freundlichen Grüßen
FACTS:
• 77 Prozent der Alleinerziehenden haben einen mittleren bzw. hohen
Bildungsabschluss. (Familienreport 2020 des BMFSFJ)
1 https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2021/03/PD21_N017_13.htmlDrei Viertel von ihnen sind berufstätig. (2021: 74%, Bundesagentur für Arbeit). 2022
war sie laut Statistischem Bundesamt auf 65 Prozent abgesunken.
• 42,8 Prozent der alleinerziehenden Mütter arbeiten in Vollzeit. Damit sind sie deutlich
häufiger in Vollzeit beschäftigt als Mütter in Paarfamilien (32 Prozent). (Daten:
destatis 2021)
• Alleinerziehende Väter arbeiten deutlich häufiger in Vollzeit (88 Prozent) (Daten:
destatis 2018)
• Alleinerziehende Mütter betreuen häufiger kleine Kinder, alleinerziehende Väter
betreuen hingegen meist Kinder ab 10 Jahren. (Daten: destatis 2018)